Brigitte Prem über Sven Allmers


 

Eine andere meiner literarischen Baustellen sind die Sven-Allmers-Geschichten. Sven Allmers ist ein kleiner Polizist aus einem norddeutschen Dorf. Das ist nun nicht unbedingt eine Gegend, in der ich vertraut bin, aber man hat mir versichert, dass die Darstellung richtig ist. Wenn dazu etwas gesagt werden soll, bitte melden.

Meistens schicke ich Sven Allmers ohnehin auf Urlaub in den Süden. Aber stelle ich den norddeutschen jungen Mann richtig dar?


Inhaltsverzeichnis Sven Allmers 1

Sven Allmers

Oktober - ein Sven-Allmers-Krimi

Sven Allmers schlägt zu

Plentern - Sven Allmers greift ein

Sven Allmers in der großen Stadt

Sven Allmers im Höhlenland


Sven Allmers von Brigitte Prem

 

Sven Allmers von Brigitte Prem
Sven Allmers stand etwas verloren in einer riesigen Menschenmenge. Er war der einzige Polizist von Mechow. Mechow ist ein Dorf in Schleswig Holstein mit viereinhalb Quadratkilometer Fläche und 110 Einwohnern. Die Adresse der Amtsverwaltung ist Ratzeburg, das heißt, der Vorgesetzte oder die Vorgesetzten von Sven Allmers sitzen in Ratzeburg. Sven Allmers wohnt seit seiner
Kindheit in Mechow.
Sven Allmers hat einen wunderschönen Namen: Der Name Allmers ist ein häufiger, niederdeutsch-friesischer Personenname. Die zweite Silbe mit der Endung auf „-mer“ bedeutet „berühmt“. Die Vorsilbe „All-“ ist kontrahiert aus „Adel-“ wie in den Namen Allbrecht oder Almut. Sven Allmers hat in Mechow keine ernsthaften Einsätze:
ein bisschen Wirtshausrauferei, hin und wieder einen Betrunkenen. Seine Vorgesetzten sind froh, wenn er sich nicht meldet, und er ist froh, wenn er sich nicht melden muss.
Noch nie befand er sich in einer solchen Menschenmenge, und eine irrationale Angst, eingequetscht oder zertrampelt zu werden, stieg in ihm auf. Dabei war seine Aufgabe leicht: Es waren die Insassen von acht Touristenbussen, und er musste nur ein bisschen Auskunft geben. Aber es waren doppelt so viele Menschen wie Mechow Einwohner hatte. Gestern hatte er sich noch seine dunkelblaue Uniform mit den vier Sternen auf den Schulterklappen gebürstet. Er liebte das Wappen von Ratzeburg auf seinen Ärmeln: In Silber eine durchgehende rote Burg mit offenem, rundbogigem Tor, bis zum unteren Schildrand reichender Zinnenmauer und drei Zinnentürmen, von denen der mittlere, höhere mit blauem Spitzdach (darauf ein roter Knauf) versehen ist; neben den aufgeschlagenen, goldenen Torflügeln je drei goldene, aus dem unteren Schildrand emporwachsende niedrige Palisadenpfähle, alles fein auf
dickem Baumwollstoff gestickt. Gerade hatte er einem Touristen dessen Bedeutung erklärt und ein bisschen
vergessen, dass er sich vor Menschenmassen und überfüllten Plätzen fürchtete. In der linken Brusttasche hatte er einen Kugelschreiber und sein Büchlein, damit er es mit der rechten Hand leicht erreichen konnte. Rechts etwas Kleingeld. In den Händen hielt er ein Funkgerät. Er würde es heute nicht brauchen, es sei denn, er verlor angesichts der Menschenmassen die Kontrolle über sich. Aber vor zwei Jahren gab es in Schleswig Holstein eine Demonstration gegen Massentierhaltung. Statt knapp 4.000 sollen demnächst 7.000 Schweine in großen Mastanlagen grunzen, und auch die Zahl von heute 43.000 Hühnern könnte sich verdoppeln, fürchtete die Initiative "Uns Bürgern stinkt's". Eigentlich war der Schwerpunkt der Demonstration in Stocksee, eine 400 Seelen Ort, also nicht viel größer als Mechow. Aber eine kleine Gruppe von Demonstranten hatte sich auch in Mechow gefunden, und Sven Allmers rief per Funk seine Kollegen in Ratzeburg an. Eigentlich war er ja auf der Seite der Demonstranten – er selbst hatte eigene Hühner und das Fleisch hatte er von einem bekannten Bauern, der seine
Rinder teilweise sogar auf seiner Wiese weiden ließ, aber er war eben Polizist. Viel war den Demonstranten ja nicht passiert. Und zu einem Gutteil waren ja wohl auch die Konsumenten schuld an der Misere.

Ein Tourist fragte ihn nach dem Naturpark Lauenburgische Seen. Sven Allmers fand Mechow schön und interessant: in wunderschöner flacher Bauernlandschaft, der Ratzeburger See rechts und der Lankowersee links. Das zeigte er dem Touristen auch, und einige andere schlossen sich an und hörten auch zu. Eine Landschaft lieblich, weich und zugleich geheimnisvoll, aufregend und mächtig. Einsame Moore, tiefe Wälder mit feuchten Senken, sanfte Hügel vor glitzernden Wasserflächen, weite Felder flankiert von Knicks, durchzogen von Alleen. Mächtige Wipfel rauschen an Bachläufen, goldgelbe Ähren wiegen sich im Wind unter tief ziehenden Wattewolken auf blauem Grund. Wie Patchwork hinein gewoben, gelbe Teppiche aus Raps, gesäumt von Mohn und Kornblumen vor roten Ziegeln, Fachwerk und den Reetdächern der Dörfer. Heraus ragen die Kirchen, mittelalterlich thronend auf eiszeitlichen Granitfeldsteinen. Sven Allmers kam ins Schwärmen, vergaß seine Angst und sein Unbehagen, weil er sich auf einzelne Gesichter konzentrierte und die Menge nicht mehr wahrnahm. Dann rauschte das Stimmengewirr der Menge wieder auf, verschiedene Aussprachevarianten wurden hörbar, auch Dänisch und Norwegisch. Sven Allmers wurde nervös. Dann fragte ihn einer nach kulturellen Sehenswürdigkeiten.
„Gut Mechow erlaubt Besichtigungen. Da gibt es das Pächterwohnhaus, die Vierständerscheune, den Pferdestall und den Gutspark. Auch die Kirche ist sehenswert. Es ist eine kleine, geschlossene Saalkirche aus Feldstein aus dem 15. Jahrhundert mit Spitzbogenfenster.“
„Und was kann man sportlich machen?“
Da gibt es einen ausgezeichneten Reiterhof auf dem schon erwähnten Gut Mechow.“
„Was gibt es noch?“
„Es gibt eine Ausstellung vom Kleintierzüchterverband.“
Da hörte man einen schrillen Schrei aus der Touristengruppe. Sven Allmers fiel das Herz in die Hose.
Es würde doch hoffentlich keine Amtshandlung notwendig werden?
„Mir wurde meine Geldtasche gestohlen!“ Eine Frau um 60 fuchtelte mit ihren Händen in der Luft herum. Neben sich, auf der Parkbank, hatte sie eine Art Aktentasche. Sven Allmers fühlte sich verpflichtet zu handeln.
„Gute Frau, beruhigen Sie sich. Wollen Sie nicht Ihre Tasche noch einmal durchsehen?“
„Das habe ich doch schon. Alles ist weg. 800 Euro sind weg.“
„Wollen Sie eine Verlustanzeige aufgeben? Ich kann das aufnehmen, aber Sie müssen sich dann in Ratzeburg darum
kümmern! … Ok dann, Ihre Passnummer!“
Die Frau griff in die Tasche. „Oh, oh, mein Pass ist auch weg.“
Sven Allmers holte tief Luft; er überlegte, wer etwas gestohlen haben könnte. Das konnte doch wohl nur einer von den Touristen sein! Von den Dorfbewohnern machte das keiner von den 110 Leuten.
„Und meine Kamera ist auch verschwunden.“
Sven Allmers seufzte. „Nun, dann nehmen wir einmal auf!“
Die Frau begann zu weinen. Der Reiseleiter wurde aufmerksam. Sven Allmers dachte, er hätte sich
vielleicht gleich mit dem Reiseleiter der 300 Touristen besprechen sollen.
„Frau Schwarz“, sagte der Reiseleiter. „Holen Sie sich einmal ein Taschentuch.“
Die Frau begann hektisch in ihrer Tasche zu kramen. Plötzlich hatte sie eine Kamera in der Hand.
„Entschuldigung, Entschuldigung!“ stammelte sie. Es war alles da. Sie hatte es selbst in eine versteckte Falte in der Tasche gesteckt.
Der Reiseleiter schaute den Polizisten an, und er blickte nach der Frau.
„Susi!“ rief er über den Platz. „In dem Kaffeehaus gibt es für die Gegend typischen Kuchen. Gehen Sie doch mit
Ihrer Freundin hin!“
Die mit Susi angesprochene Frau watschelte daher und nahm die fast Geschädigte unter dem Arm.
Dann redete der Reiseleiter ein Familienoberhaupt an. Eine Frau, ein etwa einjähriges Kind und ein junger Mann, der sich später als Schwager entpuppte, waren mit ihm.
„Peter!“ sagte er und wies auf den Polizisten. „Da ist jemand vom Ort. Geht in den Gastgarten und macht es euch gemütlich!“ Damit hatte er der Familie einen einheimischen Gesprächspartner verschafft, und Sven Allmers konnte sich beruhigen, ohne seine Pflichten zu vernachlässige
n.

 


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Brigitte Prem: "Sven Allmers" Aus: Blanka Trunitschek und Brigitte Prem: "Lebenssplitter - Splitter des Lebens" BoD 2016


Oktober - ein Sven-Allmers-Krimi von Brigitte Prem


Oktober- ein Sven-Allmers-Krimi von Brigitte Prem
Die Wälder lagen in glühenden Oktober-Farben: das Rot der Eberesche, das Gelb der Buche, das noch zarte Grün
der Birken und Lerchen, bunte Farbflecken im Fichtengrün, und darüber der Abendsonnenschein; dazwischen die Schatten der Felsen und Berghänge, die
immer dunkler wurden. Der aus flacher Landschaft kommende Sven schaute begeistert. Plötzlich kam ihm etwas auffallend vor: Unter einem Gestein sah er eine Gestalt, die nicht hingehörte. Es war ein Mensch in teurem grauem Anzug, und er lag seitlich mit dem Gesicht halb im Gras. Sven ging hin und sprach den Liegenden an – der rührte sich nicht. Er nahm ihn bei der Schulter, und das Gesicht rollte in Svens Blickwinkel. Leere Augen starrten ihn an – der Mann war tot. In seiner Stirn klaffte eine blutige Wunde. Sven meldete den Fund bei der örtlichen Polizei. Und obwohl sein Instinkt sofort Sonderbares witterte – warum der unpassende Anzug, ein Mann mit 45 Jahren, fit, durchtrainiert unter einem Steinhaufen? - kümmerte er sich nicht weiter darum. Sven war zwar Polizist, aber er war im Urlaub. Sein Wirkungsfeld war 100e Kilometer entfernt. Sven ging zu seinem österreichischen Freund Beinhart Heribert, um sich zu beruhigen. Der tote Körper und die blutige Stirn machte ihm zu schaffen, und er erzählte Heribert davon, als dieser ihn in das erste Stockwerk in sein Wohnzimmer führte.
„Sag einmal, heizt du noch nicht? Es hatte heute Früh 7Grad Celsius“.
„Ich wärme mit Sonnen-Energie. Ich muss den ganzen Winter über kaum zu heizen.“
„Und dann verwendest du Holz – ich habe gesehen, dass du an der Wand Holz aufgestapelt hast“.
Plötzlich hörten sie laute Männerstimmen:
„Und ich sage dir, wenn jemand bereit ist, das Zusammenleben in unserem Dorf zu zerstören, verdient er die Todesstrafe!“ schrie jemand.
„Ach, das ist nur der Raimund“, erklärte Heribert. „Der ereifert sich, weil der Pointner die Linden auf dem Dorfplatz umschneiden und das Dorfgrün wegtun will, um einen Parkplatz für seine geplante Freizeitanlage zu machen. Aber das geht ihm sowieso nicht durch. Dafür wird schon der Pfarrer sorgen“.
„Hallo“, rief Sven. „Warum dröhnen die Stimmen so laut?“
„Das ist der Heizungsschacht. Durch den kommt die Wärme von der Fußbodenheizung in diesen Raum“, machte Heribert begreiflich, stand auf und setzte einen Stöpsel auf den Heizungsschacht.
„Und was ist das mit der Zerstörung des Dorfplatzes und dem Pfarrer?“
„Der Pfarrer macht morgen auf dem Dorfplatz ein Pfarrfest mit Kindern, und er hat alle Medien des Landes eingeladen, die darüber schreiben werden, dass die armen Kinder das letzte Mal hier spielen. Damit ist der Pointner draußen, und der Raimund braucht sich gar nicht so aufzuregen“.
Als Sven die Straße hinunter zum nächsten Ort zu seinem Quartier ging, traf er den örtlichen Polizisten. Ihm fiel der Tote wieder ein.
„Weiß man schon, wer es ist?“ fragte er.
„Ja, ein Industrieller. Pointner heißt er.“
Sven zuckte zusammen. Der Name war doch bei Beinhart Heribert gefallen.
„Und weiß man mehr?“
„Der Pointner ist ziemlich rücksichtslos. Obwohl keine existentielle Notwendigkeit bestand, hat er Arbeitsplätze ausgelagert und damit Lebensgrundlagen zerstört. Da kann schon jemandem der Kragen geplatzt sein.“
Sven überlegte. Dieser aufgebrachte Raimund konnte der Mörder sein. Oder einer der „Häuselbauer“, die durch die Auslagerung der Arbeitsplätze ihren Lohn verloren hatten und ihr Haus aufgeben mussten. Aber was hatte Herr Pointner im feinen Anzug überhaupt dort draußen zu suchen? Herr Raimund wusste von der Aktivität des Pfarrers noch nichts, und dann war noch die Frage, ob der Pfarrer Erfolg haben würde. Herr Raimund hatte also
ein Motiv. War das mit der Auslagerung schon gelaufen? Wenn ja, waren die „Häuselbauer“ wohl draußen, denn der Mord würde ihre Situation nicht ändern. Die Polizei würde sich erkundigen müssen. Oder doch ein reiner Racheakt? Sven biss auf seiner Unterlippe herum, dann machte er sich zum Fundplatz der Leiche auf. Trotz seiner verstörenden Situation hatte er zwei nette Erlebnisse: Er sah einen Schwarzstorch und er fand eine Krause Glucke. Der Fundort aber gab nichts Neues preis. Er kam dann gerade zum letzten Bus zurecht – es fuhren nur zwei im Tag. Es war zwar nicht so weit, aber Sven entschied, dass er seine Beine für diesen Tag schon genug bewegt hatte. Heribert Beinhart und ein anderer wechselten sich als Busfahrer ab. Diesmal war der andere dran. Auch mit ihm kam Sven ins Gespräch.
„Ja“, sagte der Busfahrer. „Da haben Sie etwas Schönes gefunden. Hin und wieder einen Schwarzstorch und die Krause Glucke gibt es nur da draußen. Die Krause Glucke wächst dort allerdings recht üppig.“
Am nächsten Tag war auf dem Dorfplatz das Fest, das die Vernichtung des Dorfplatzes verhindern sollte.
Es war im Grunde ein Kinderfest mit organisierten Kinderspielen. Nur dass sich Medien-Leute durch die Menge drängten und Kinder und Leute befragten.
Sven tat ein Übriges: „Ich komme aus Nord-Deutschland und ich bin fasziniert von der Landschaft, der Kultur und den Leuten hier. Ich habe noch nie ein Dorfgrün gesehen. Und die alten Linden! Und der 400 Jahre alte Brunnen! Ich bin begeistert!“
Er erwähnte also all die Dinge, die hoffentlich nicht verschwinden würden.
Während er sprach, hörte er eine Gruppe Kinder:
„Gestern hat mein Vater einen Korb Krause Glucke mitgebracht. So lustig haben die ausgeschaut. Und so gut haben sie geschmeckt“.
Sven biss die Zähne zusammen, noch mehr, als er eine erwachsene Stimme hörte:
„Das mit der Auslagerung wird jetzt Gott sei Dank nichts. Der Nachfolger vom Pointner macht das nicht.“
Sven dachte über alle Indizien, die er gesammelt hatte, nach: Der Mord verhinderte die Auslagerung von
Arbeitsplätzen, er stellte die Existenz des Dorfplatzes sicher, der das kulturelle Zusammenleben der einheimischen Bevölkerung bestimmte, die Krause Glucke, die nur am Fundort der Leiche wuchs, die Kinder, die am Mord-Tag Krause Glucke gegessen hatten.
„Ich bin im Urlaub“, dachte er. „Und alle, von denen ich weiß, sind ohne Pointner besser dran. Aber Mord ist Mord, und Mord kann nicht geduldet werden.“
Dann setzte er sich zu dem einheimischen Polizisten und fragte:
„Wer ist der Vater von diesen Kindern?“
„Das wäre ein ganz Armer gewesen, wenn die Auslagerung durchgegangen wäre. Er hätte nur Leiharbeit in der Großstadt nehmen können. Seine Frau wäre ihm mit den Kindern nicht mitgegangen, weil sie zu Recht sagt, sie
will nicht leben, wo sie eine halbe Stunde mit der Straßenbahn fahren muss, um den Kindern ein bisschen Grün zu zeigen. Sie hätte mit den Kindern bei seinen Schwiegereltern unterschlüpfen können, mit viel Mühe.
Aber für ihn wäre kein Platz mehr gewesen“.
Sven atmete durch.
„Trotzdem….“, und er sagte dem Polizisten alles, was er herausgefunden hatte.
„Es sind nur Indizien“, erwiderte der. „Ich werde nicht lügen, aber ich werde auch nicht laut hier schreien. Sollen die von der Mord-Kommission ihre Arbeit tun“.
Sven schwieg.


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Brigitte Prem: "Oktoberkrimi" Aus: Blanka Trunitschek und Brigitte Prem: "Lebenssplitter - Splitter des Lebens" BoD 2016

 


Sven Allmers schlägt zu von Brigitte Prem



Sven Allmers schlägt zu
von Brigitt Prem
Ich sah Spuren im Schnee, die nicht da sein durften. Ich sah vom Balkon in den Garten hinunter, und dann sah ich noch etwas: Die Spuren gingen vom Gartentor zu meiner Holzscheune, aber sie führten nicht zurück.

Ich schlich mich die Mauer entlang, dort, wo kein Schnee gefallen war, damit ich keine zusätzlichen Fußabdrücke hinterließ. Ich riss die Scheunentür auf und sah einen Augenblick wegen der da herrschenden Dunkelheit gar nichts. Ich blinzelte. Und dann sah ich die Leiche.
Es war eine Leiche. Ich dachte zuerst, ein Sandler hatte in meiner Scheune übernachtet, aber es war eine Leiche, und es war kein Sandler. Dazu war er zu gepflegt - Wanderkleidung.

Ich schrie und schrie, und hörte gar nicht mehr auf. Ein Nachbar rief dann die Polizei. Im Nu war der ganze Ort beisammen, weil man die Identität des Toten herausfinden wollte. Es war Heribert Beinhart, der ihn erkannte: Ingo Oppermann. Er war zahlender Feriengast im Sommer auf seinem Bauernhof gewesen. Er kam aus Schleswig Holstein.

Ich erkannte ihn auch. Vor lauter Schreien hatte ich ihn zuerst nicht erkannt. Er war sogar auf der Bank neben meiner Scheune gesessen, und wir hatten uns über Gott und die Welt unterhalten. Aber wie war er in den Ort und in meine Scheune geraten?

Heribert Beinhart suchte seine Aufzeichnungen heraus, und man rief in Rendsburg in Schleswig Holstein an. Niemand wusste, wo Ingo Oppermann war; er machte Urlaub, und man  war seine abenteuerlustigen Urlaube gewöhnt, über die er im Nachhinein dann erzählte. Er war zweiter Chef einer Baufirma.

Obwohl nun eigentlich die Polizei in Rendsburg zuständig war, blieb den Österreichern nicht erspart, herauszufinden, wie er in meine Scheune gekommen war. Man fragte bei Bahn und Bus und dem Taxi-Unternehmen nach. Bei der Bahn war die Nachfrage zwecklos. Der Bahnhof war nicht mehr besetzt und den umliegenden Nachbarn war auch nichts aufgefallen. Der Bus hatte nur die üblichen Schüler transportiert, aber beim Taxi-Unternehmen wurde man fündig. Um Mitternacht hatte einer der Taxi-Fahrer einen Herrn, auf den die Beschreibung passte, vom Bahnhof bis zu meinem Haus transportiert. Der Taxi-Fahrer redete später mit mir darüber. Ingo Oppermann war offensichtlich schlecht gewesen, er war totenblass im Gesicht. Aber er lehnte jede Hilfe ab.
Der Taxi-Fahrer sagte zu mir: „Ich habe mich noch gewundert, was er um Mitternacht bei dir wollte. Ich habe ihn auch indirekt gefragt, indem ich ihm erzählte, dass ich dich gut kenne. Aber er hat nicht reagiert.“

Allmählich kam man darauf, dass er mit dem letzten Zug aus der Hauptstadt angekommen war. Ohne Gepäck. Wie viel davon konnte man mit seiner Abenteuerlust erklären?

Überprüfung seines Handys, das er bei sich hatte. Offensichtlich war er vor sieben Tagen, an seinem ersten Urlaubstag,  aus Rendsburg weg gefahren. Er fuhr bis Hamburg, wo er Bekannte besuchte. Dort blieb er drei Tage. Sie sagten, dass es ihm gut ging.

Dann fuhr er nach München weiter, wo er wieder unterbrach. Er machte einen Abstecher nach Rosenheim, das ihn wegen der Krimi-Serie „Die Rosenheim-Cops“ interessierte, wie er einer ehemaligen Kollegin in München erklärte, die aber keine Zeit für ihn hatte. Er übernachtete in einem Mittelklasse-Hotel. Der Rezeptionist dort sagte aus, er hätte wie eine Leiche ausgesehen. Und der Zimmerzuständige sagte, dass er Geräusche des Erbrechens gehört hätte.
Die Obduktion ergab nichts. Man hatte eventuell, auf Grund des schlechten Aussehens des Herrn Oppermann an verschiedenen Stätten, Gift vermutet. Aber der Mageninhalt ergab nur eine pflanzliche Abendmahlzeit mit teurem Rotwein, und auch das Blutbild ergab keine Auffälligkeiten.

Eine Anfrage beim Hausarzt ergab, dass er sich jährlich einer Gesunden-Untersuchung unterwarf und kerngesund war.

Nun gibt es natürlich unauffällige Gifte. Die ersten Anzeichen eines Unwohlseins waren in Rosenheim erfolgt. War er dort vergiftet worden?

Es ergab sich für die Polizei nun die Frage der Zuständigkeit. Die Leiche war in einem Dorf in Österreich gefunden worden; die ersten Erscheinungen von Unpässlichkeit waren in Rosenheim ersichtlich, aber wer sollte ihn dort ermorden wollen? Wohnhaft und beruflich gebunden war er in Rendsburg.

Sven Allmers hatte in Rendsburg eine Karriere vom schüchternen kleinen Polizisten zum Kommissar der Mordkommission gemacht, und er kannte Ingo Oppermann. Er hatte ihm das kleine österreichische Dorf als Ferienort empfohlen. Er nahm die Sache in Rendsburg nun in die Hand. Wenn ein Mord vorlag, mussten die Wurzeln in Rendsburg sein. Weder in München, noch in Rosenheim, noch in dem österreichischen Dorf war irgendeine Verbindung, irgendein Motiv für einen Mord ersichtlich.

Es hatte um die Baufirma einen Medienwirbel gegeben. Man hatte im Zusammenhang mit der Privatisierung vom Staat eine Siedlung gekauft, die vor 25 Jahren gebaut worden war. Das Gebiet war inzwischen touristenattraktiv geworden war; es waren Wanderwege und Reit-Tour-Möglichkeiten erschlossen und eine Infrastruktur zu Museen und Theater geschaffen worden. So hatte man sich entschieden, die Siedlung abzureißen und finanziell lukrativere Gebäude hinzustellen. Die Stadtgemeinde hatte mitgeholfen, indem sie die Gebäude für baufällig erklärte.

Natürlich waren die Bewohner, die fast alle im Rentenalter waren und gehofft hatten, dort alt zu werden, nicht einverstanden. Sie fanden einen Sprecher, auch etliche Medien nahmen sich der Sache an. So weit war das zum Zeitpunkt des Todes von Herrn Oppermann gediehen.

Sven Allmers hielt es für möglich, dass hier ein Motiv für einen Mord lag. Er hielt eine Umfrage unter den Bewohnern.
„Dieses Schwein, dieses Schwein!“ hörte er immer wieder.
Mit „Schwein“ war allerdings nicht Ingo Oppermann gemeint, sondern der erste Chef. Ingo Oppermann hatte auch keine Anteile an der Firma. Er war nur angestellt.

Auf Umwegen erfuhr Sven Allmers, dass dieser Chef dem Beamten, der die Baufälligkeitserklärung veranlasst hat, ziemlich viel Geld überwiesen hatte, und vermutete eine Bestechung. Er erwirkte einen richterlichen Beschluss für eine Durchsuchung von Büro und Haus beim Chef der Firma. Man fand die entsprechenden Unterlagen, die die Bestechung bewiesen, und damit durften wenigstens die Rentner in den Wohnungen bleiben. Denn ein weiteres, diesmal unabhängiges Gutachten ergab, dass die Häuser, mit einigen Reparaturen, noch weitere 30 Jahre bewohnbar waren.

Ingo Oppermann war gegen den Abriss gewesen. Es gab Zeugen, dass sich die beiden Herren, der Chef und Oppermann, angeschrien hätten. Oppermann hatte wohl genug Einblick, was gelaufen war, und der Chef der Firma hatte damit ein eindeutiges Motiv, Ingo Oppermann umzubringen.

Aber wie hatte er es gemacht?

An dem Abend, als es den Streit gegeben hatte, saßen die Herren bei einem Pilzgericht. Für die tödliche Dosis des Knollenblätterpilzes genügt ein einziger ausgewachsener Fruchtkörper. Die ersten Symptome wie etwa Brechdurchfälle treten erst acht bis zwölf Stunden nach dem Verzehr auf. Sie klingen danach für zwei bis drei Tage wieder ab, um sich dann etwa fünf Tage nach dem Verzehr zu einem kompletten Leberversagen zu entwickeln. Der Tod tritt meist etwa zehn Tage nach dem Verzehr ein.

Man konnte dem Chef der Firma den Mord nicht nachweisen. Er wurde für die Bestechung bestraft.  Die Firma konnte er nicht halten. Seine Frau verließ ihn mit den Kindern, da sie das Vergehen ihres Mannes vermutete. War er bestraft genug?

Im Sommer war Sven Allmers wieder in Österreich. Ich saß mit ihm, Heribert Beinhart und dem örtlichen Polizisten im Gasthaus. Sven liebte österreichische Landgasthäuser.

„Ingo Oppermann wollte wahrscheinlich zu mir“, sagte Heribert Beinhart. „Als es so spät wurde und ihm obendrein schlecht wurde, entschied er sich, in deiner Scheune zu übernachten, die er ja kannte.“

„Ein abenteuerlustiger Mann!“ sagte ich. „Gondelt allein durch ganz Europa, übernachtet bei Bekannten und in Land-Gasthäusern, schläft in einer Scheune, und das alles, als er sich schon scheußlich fühlte. Dabei war er auf seine Gesundheit bedacht.“

Es gab nichts mehr zu sagen. Wir tranken schweigend unseren Rotwein.


Quelle:

Brigitte Prem: "Oktoberkrimi" Aus: Blanka Trunitschek und Brigitte Prem: "Lebenssplitter - Splitter des Lebens" BoD 2016


Plentern - Sven Allmers greift ein   von Brigitte Prem

Plentern
von Brigitte Prem
September ist Plenterzeit.
Als der norddeutsche Sven durch die österreichischen
Wälder wanderte, rund um den Längsee, traf er auf einen sonderbaren Mann. Er sah ihn zuerst gar nicht recht. Er stand zwischen den Bäumen, Ahorn und Fichten, über schroff zum Längsee abfallenden Felsen. Seine Gestalt verschwand in der Landschaft, seine grüne Kleidung kaum unterscheidbar von einer Fichte, sein spitzer Hut wie das Obere eines Nadelbaums. Sven ging auf ihn zu, denn er wollte Land und Leute kennen lernen. Der Mann hob die Hand, als er Sven sich nähern sah, und Sven verstand, dass er ruhig sein sollte. Sie setzten sich ins Gras, mit dem Rücken zum Längsee, mit dem Blick auf eine Lichtung zwischen den Bäumen. Der Abend senkte sich herab. Plötzlich ein Geräusch: Auf der Lichtung, die bedeckt von Gras und saftigen Kräutern war, das sah man durch die Bäume hindurch, erschien ein Reh, und noch eins, und noch
eins. Sven hielt den Atem an. Plötzlich hob eines der Rehe den Kopf und stürmte los in den dichten Wald hinein. Die anderen stürmten hinter drein. Laute Stimmen waren zu hören, zwei laute Männerstimmen.
„30 000 Euro“, hörten sie.
Und „Du kannst das nicht, und ich kann das nicht bezahlen.“
Und: „Ich möchte auch einmal etwas vom Leben haben“.
Der Grüne schüttelte den Kopf und legte seinen rechten Zeigefinger auf den Mund. Sven verstand, dass er noch immer still sein sollte. Als sie die Felsen hinunter zur Busstation wanderten, erklärte der sonderbare Mann:
„Das war Beinhart Heribert und sein Schwiegervater. Der Alte macht es dem Jungen nicht leicht.“
„Ich bin Sven“, stellte sich der Norddeutsche vor.
Der Grüne grinste: „Ich bin das Längsee-Mandl“.
Sven starrte ihn an. Der Grüne lächelte: „So nennen mich die Leute hier. Ich bin Heger.“
Dann wurden sie durch einen fantastischen Baum abgelenkt, freistehend, mit einem Meter dicken Stamm und einer mächtigen, in den Himmel ragenden Krone.
„Eiche“, sagte das Mandl. „Hunderte von Jahren alt."
Am nächsten Tag erkannte Sven im Busfahrer Beinhart Heribert. Da sonst niemand im Bus war, fing er, verbotenerweise, ein Gesprõch an.
„Ich habe Sie gestern im Wald gesehen“, tastete er sich vor.
„Es ist der Wald meines Schwiegervaters. Es wäre jetzt Zeit zum Plentern“, reagierte Beinhart Heribert.
„Was heißt Plentern?“
„Plenterung ist eine der Betriebsarten, mit denen sich Wald nachhaltig nutzen lässt. Dabei bleiben die Waldstruktur und das Waldklima erhalten und langfristig kann dieselbe Menge Holz genutzt werden wie mit anderen Betriebsarten. Es werden immer nur einzelne Bäume in kleinen Lichtungen geschlagen, sodass Jungholz nachwachsen kann.“
„Aha. Sie scheinen ein Problem mit Ihrem Schwiegervater zu haben.“
„Ja, ich will plentern, und er will den ganzen Wald abholzen und neu aufforsten. Aber das dauert dann eine Generation, bis der Wald wieder nachgewachsen ist.“
„Braucht ihr denn das Geld?“
Trotz seines hochdeutschen Akzents fiel Sven in das ortsübliche Du.
„Wir brauchen 30 000 Euro. Das wõre mit dem Plentern zu bekommen. Aber er will noch die Scheune reparieren und eine Reise machen. Aber das ist nicht notwendig. Jedoch die Hauptsache: Er traut es mir nicht zu. Und die Firma würde eine Vollschlägerung billig machen.“
Als Sven am Abend mit dem Heger wieder den Wald beging, erzählte er ihm davon.
„Ich kann ihnen nicht helfen,“ stellte das Längsee-Mandl sofort fest. „Da ich Heger bin und ihnen beispielsweise sagen muss, wenn ein Baum käferbefallen ist, begegnen
sie mir misstrauisch. Jeden Vorschlag meinerseits würden sie ablehnen.“
„Ich werde einmal sehen, ob ich mit der Familie reden kann. Aber bevor ich das tue, beantworten Sie mir bitte eine Frage: Kann ich als absoluter Nichtskönner bei der
Arbeit helfen?“
Das Längsee-Mandl lächelte fein: „Natürlich! Wenn ich Ihnen sage, was Sie tun müssen.“
Es endete damit, dass Sven, das Längsee-Mandl und Beinhart Heribert beim Plentern halfen. Das LängseeMandl passte gut auf, dass Beinhart Heribert alle Details lernte, damit er alleine weiter machen konnte, denn seine Hilfe war derart, dass Hilfe überflüssig werden sollte.
Und Sven fuhr heim nach Nord-Deutschland nach einem befriedigenden, erlebnisreichen und sportlichen Urlaub.


Quelle:

Brigitte Prem: "Plentern" Aus: Blanka Trunitschek und Brigitte Prem: "Lebenssplitter - Splitter des Lebens" BoD 2016


Sven Allmers in der großen Stadt  Von Brigitte Prem


Sven Allmers in der großen Stadt

von Brigitte Prem
Sven Allmers, der schüchterne Dorfpolizist aus dem kleinen Bauerndorf Mechow, war jetzt in Rendsburg. Er war zu einem Fortbildungskurs im Nordkolleg Rendsburg eingeladen worden. Dort sollte er auch Kollegen der Umgebung zu einem Erfahrungsaustausch treffen. Es sollten angenehme Tage werden. Denn im "Land zwischen den Meeren" lag das Nordkolleg idyllisch zwischen Nord-Ostsee-Kanal und Eider im Zentrum Schleswig-Holsteins und war bekannt für seine kulturelle Kompetenz, den wunderschönen parkähnlichen Garten und die ausgezeichnete und vielgelobte Küche.
Sven war auf den Weg dorthin. Da er noch Zeit hatte, spazierte er ein bisschen herum. Er kannte Rendsburg gut und betrachtete es, wie Mechow, als seine Heimat, was ein bisschen wie ein Widerspruch klingt. Denn Rendsburg ist dicht besiedelt. Auf 24 Quadratkilometer drängen sich 30 000 Leute. Aber Sven liebte auch die Atmosphäre der Stadt. Er betrachtete zum so und so often Male den Brunnen aus dem 14. Jahrhundert, bewunderte das älteste Bürgerhaus der Stadt und ging über die berühmte Rendsburger Hochbrücke, eine eindrucksvolle und formschöne Konstruktion aus Stahl. Plötzlich ergriff ihn ein mulmiges Gefühl. Er atmete tief durch, wusste aber nicht, was seine Beklemmung ausgelöst hatte. Er beugte sich über die Brücke, und, um sich abzulenken, beobachtete er eine Weile die Schwebefähre, von denen es in der ganzen Welt nur neun gibt. Aber das mulmige Gefühl wollte nicht verschwinden. Als er weiter ging, sah er eine ältere Frau mit zwei jungen Mädchen. Die Frau kam ihm bekannt vor, aber als sie sich drehte, auch wieder nicht. Die geisterhafte Empfindung wollte nicht weichen, und er fragte sich, ob diese etwas mit der alten Frau zu tun hatte.
Sven betrat das Nordkolleg, und war gleich von Kollegen umringt. Obwohl er schüchtern war, war er nicht unbeliebt, denn er war verlässlich, bereit, einzuspringen, wenn es seinen Fähigkeiten entsprach, und fröhlich, solange man ihn in Ruhe ließ.
Man gab sich den Vorträgen hin, in den Pausen dem Erfahrungsaustausch, dem Tratsch und den guten Häppchen, die geboten wurden.
„Was hast du?“ fragte ein Kollege, ein Polizist aus Stocksee.
„Ich weiß nicht. Hast du das auch manchmal, eine Ahnung, dass etwas passieren wird, und dann passiert wirklich etwas?“
„Was denkst du denn?“
„Da war diese Frau?“
„Welche Frau?“
„Auf der Rendsburger Hochbrücke. Ich dachte, ich kenne sie.“
„Komm. Gib dich dem nicht hin. Die lachen uns ja aus“.
Ein anderer Kollege, einer aus Rendsburg, mischte sich ein: „Wenn heute, etwas passiert, müssen welche von uns gehen. Alle Rendsburger Polizisten sind im Landestheater, um den Staatsbesuch zu schützen.“
Das gab ihnen Gelegenheit, über das Angebot des Landestheaters zu sprechen.
Außer einem Theaterspiel für Kinder von den Gebrüdern Grimm waren nur moderne Dramen am Spielplan mit modernen Problemen wie „Fremd zu sein bedarf es wenig“ oder „Die auf der anderen Seite des Bahndamms“. Erst einen Monat später würde es Konzerte mit klassischer Musik geben.

Während der Vorlesung überlegte Sven, was die Formulierung „auf der anderen Seite des Bahndamms“ bedeutete.
„Nehmen wir das ganz wörtlich“, dachte er. „Früher trennten Flüsse die Landschaft und machten es den Menschen schwer zusammen zu kommen. Heute gibt es überall Brücken, aber die Landschaft wird zerrissen durch Autobahnen und Schnellstraßen.“

Dann dachte er über das Angebot des Landestheaters nach: Er war als Schüler an diesem Theater Statist gewesen. Aber da hatte man Goethe, Schiller, Mozart und Shakespeare gespielt. Er bekam eine Gänsehaut; das Bild der alten Frau mit den zwei jungen Mädchen stieg vor ihm auf. Er biss die Zähne zusammen und suchte sich zu beruhigen.

Plötzlich hörte man vor der Tür des Vortragsaales ein lautes Getöse. Die Tür wurde aufgeknallt und stieß so heftig gegen einen Glaskasten, dass das Glas schepperte. Aber es waren nur Polizisten von der Bewachung des Staatsbesuches.
„Wir haben einen Einbruch in der Schminkkammer“, rief der erste. „Die Alarmglocke ging los.“
„Es müssen welche von euch kommen. Wir sind voll eingeteilt.“
„Was ist denn so Wertvolles in der Schminkkammer?“ fragte der Polizist aus Stocksee.
„Das ist völlig egal!“ ereiferte sich der Eindringling. „Einbruch ist Einbruch.“

Der Polizist aus Stocksee griff Sven beim Arm, ein dritter gesellte sich dazu und sie folgten den Kollegen, die den Staatsbesuch bewachten. Sie fuhren zu fünft im Dienstauto.

Im Landestheater schupften die Kollegen sie in Richtung Schminkkammer, vor der zwei Polizisten standen.
„Ah, ihr seid da!“ sagte der eine. „Dann können wir ja gehen!“
Sie flitzten fast davon.

Die drei sahen sich fragend an. Dann klopfte einer an. Aber es meldete sich niemand. Sven drückte die Klinke herunter. Sven war zwar schüchtern, aber zuweilen doch recht unternehmenslustig. Der Kollege aus Stocksee brachte sich in Stellung, um die Tür aufzubrechen. Aber sie ging ohne Weiteres auf.

Auf dem Boden saß eine ältere Frau, die weinte. Zwei junge Mädchen stützten und streichelten sie.
„Margit!“ rief Sven. Es war die alte Frau von der Rendsburger Hochbrücke, und er erkannte sie nun. Es war die Maskenbildnerin aus der Zeit, als er hier als Statist spielte.
„Wie kommst du hierher?“ fragte er. Die beiden anderen Polizisten standen da, drehten Däumchen und schauten etwas dümmlich.
„Es ist alles noch so, wie es war“, sagte Margit, indem sie sich mit dem Taschentuch über das Gesicht fuhr.

Sven Allmers erinnerte sich, dass er Polizist ist. „Wie bist du herein gekommen, Margit?“
„Ich kenne mich doch aus. Es hat sich nichts verändert.“
„Außer der Alarmglocke.“
„Hier, auf dem Boden sind noch die Flecken von der Farbe, mit der ich damals das Kostüm des Prospero herstellte“, schluchzte Margit.
„Komm!“ sagte Sven. Und er nahm die drei Frauen in den wunderschönen parkähnlichen Garten des Nordkolleg Rendsburg.


Quellen

Original

Ich, Brigitte Prem, habe  "Sven Allmers in der großen Stadt" vor etlichen Monaten für eine Kollegin geschrieben, die mit ihrer Tochter dorthin gefahren ist, die Stätte ihrer Jugend. Sie war da schon schwer krank. Mittlerweile ist sie verstorben


Sven Allmers im Höhlenland Von Brigitte Prem

 

Sven Allmers im Höhlenland

von Brigitte Prem

Sven Allmers, Polizist aus Schleswig-Holstein in dem kleinen Ort Mechow, der Ratzeburg untersteht, fährt auf Urlaub in den Süden. Sein Dienst ist nicht sehr anstrengend, der Ort hat genau 114 Einwohner und ist sehr friedlich. Hin und wieder eine Prügelei unter jungen Männern, Geschwindigkeitsüberschreitungen, und damit hat es sich auch schon. Wenn es etwas Größeres gäbe, würde Sven das in der ihm übergeordneten Stelle in Ratzeburg melden. Aber das hat er noch nie getan.
Trotzdem freut er sich, dass er Urlaub hat, denn er will etwas Neues erleben. Er hat sich bei einer Wanderung in die Tiefe angemeldet, obwohl er, aus einem flachen Land stammend, nicht viel darüber weiß. Er hat aber ein halbes Jahr lang jede Woche einige Stunden an einer künstlichen Kletterwand geübt. Es war dann eine behördliche Genehmigung notwendig, dass er mit der Höhlengehergruppe unter die Erde gehen darf.
Nun sitzt er im Zug und richtet sich auf eine mehrstündige Zugsfahrt mit öfteren Umsteigen ein. Ihm gegenüber macht sich eine Österreicherin breit, deutlich erkennbar an ihrem Akzent mit den gezogenen Vokalen, weniger sichtbar an ihrer Kleidung, nur einige südliche Details wie gepuffte Ärmeln mit Rüschen lassen ihre Herkunft erkennen.
Er fährt mit der Bahn, denn in seiner Freizeit ist er sehr umweltbewusst. Als Polizist muss er wohl manchmal gegen zu rabiate Umweltschützer vorgehen.  Vor einigen Jahren gab es in Schleswig Holstein eine Demonstration gegen Massentierhaltung. Eigentlich war er ja auf der Seite der Demonstranten, aber er war eben Polizist.
Die Frau schaut aus dem Fenster und betrachtet begeistert die Landschaft, die für sie wohl Erlebnis ist.
"Schauen Sie, die Saatkrähen", redet sie ihn an.
"Ja", sagt Sven. Er kennt keinen Unterschied zwischen Saatkrähen und anderen, ja nicht einmal zu Raben, er weiß gerade noch, dass Dohlen ein paar graue Federn haben. Außerdem ist er schüchtern; er befindet sich hinter einer Wand aus bunten Schleiern, durch die er niemanden hindurch läßt. Sven will eigentlich ruhig sitzen, ein bisschen träumen, auf die langsam sich verändernde Landschaft hinaus schauen, auf das sanfte Rattern der Zugräder hören, aber die Tussi aus dem Süden redet die ganze Zeit.
"Rabentiere sind Verkörperungen der Morrigan."
"Wer oder was ist die Morrigan?" fragt er.
"Die Verkörperung der Leidenschaft und des Todes."
"Sehr tödlich kommen mir diese Tiere nicht vor."
"Es sind Aasfresser und Polizei des Waldes. Sie speisten von den Gehenkten, und auf den Schlachtfeldern fraßen sie die Leichen. Als Cú Chulainn an einen Felsen gelehnt starb, setzte sich eine Krähe auf seine Schulter. Da wussten seine Feinde, dass er tot war."
Das macht Sinn. Der Zug rattert Richtung Süden. Sie kommentiert die Landschaft und erzählt gleichzeitig von ihrem Aufenthalt im Norden.
"...Ich mag Großstädte nicht – nirgends salige Frauen."
"Was?"
"Ich meinte, nirgends Bäume, Sträucher, Unterholz, nur Leute."
Sven denkt: "Ganz abgeneigt bist du Leuten nicht. Du redest ja die ganze Zeit."
Dann fragt er: "Wo fahren Sie jetzt hin? Nach Hause?"
Plötzlich bremst der Zug scharf:
"Steigen Sie nicht aus. Wir befinden uns nicht an einer offiziellen Haltestelle", hört man die Stimme des Schaffners.
Sven Allmers schaut zum Fenster hinaus. Ein Bahnbeamter hilft einem Reisenden vom Boden auf, dessen Gesicht er sich gewohnheitsmäßig einprägt. Am Bahndamm läuft jemand davon, ein großer und dürrer Mann, aber mehr kann Sven nicht erkennen. Dann fährt der Zug weiter, der Schaffner versichert, dass man die Verspätung einholen würde.
"Nun?" fragt Sven, als er sich setzt.
"Was?" reagiert sie unhöflich, und Sven sieht mit Staunen, dass sie blass ist.
"Fahren Sie nach Hause?"
"Nein! Nein! Ich fahre weiter in den Süden, Höhlen-Wandern."
Sven ist überrascht, denn dorthin will er auch.
"Habt ihr in Österreich nicht auch Höhlen?"
"Oh ja, aber es ist das Land der Höhlen, der Feen, der bunten Bäume, der Felsen, der Dolinen, der Nebelstreifen in den Bäumen, der Mispeln, der Granatäpfel..."
"Die spinnt ja", denkt Sven.
Aber nach und nach stellt sich heraus, dass sie sich bei derselben Wanderung angemeldet haben und dass sie auch eine Genehmigung der Behörden besitzt.
Gruppenleiter Raol macht die Gruppenmitglieder miteinander bekannt. Sven und Wetti sind die einzigen Neulinge. Die anderen haben schon viele Höhlenwanderungen in ganz Europa miteinander gemacht. Gleich am nächsten Tag wollen sie die Feenhöhle begehen.
"Die gibt es ja wirklich!" ruft Sven. "Ich hab' gedacht, du schwärmst."
Wetti grinst boshaft.
Die Feenhöhle ist die erste Höhle, die sie erforschen wollen. Sie ist leicht begehbar, da einigermaßen eben, aber sie ist wunderschön mit den vielen feengleichen Stalaktiten und Stalagmiten. Eine Felsöffnung  reiht sich einen Kilometer lang an die andere. Es geht auf und ab, die Farben wechseln von Blautönen zu Brauntönen. Aber mit den Feen hat es noch mehr auf sich: bei entsprechender Witterung ergibt sich eine neblige, wabernde Atmosphäre. Es ging einmal ein Kind in der Höhle verloren, und die Leute sagen, die Feen hätten es zurück gebracht. So sagt man ihnen, und am nächsten Tag erleben sie das.
"Wenn alle Höhlen so leicht zu begehen sind, hätte ich den Kletterkurs nicht machen müssen", sagt Sven.
"Wart's ab!" erklärt die Österreicherin. "Die Höhlis haben eine Vertiefung in einer Doline gefunden; in die kommt man nur mit Seil."
Alle hängen an einer dafür vorgesehenen Vorrichtung vor der Pension ihre Schlaze auf; Schlaz heißt Schliefanzug.
"Richtet eure Schleifsäcke mit Jause her. Morgen haben wir einen langen Tag", fordert Raol auf.
Sie sitzen in dem einheimischen Lokal und essen den dort berühmten Spinatstrudel.
"Horcht euch das einmal an!" ruft Willy.
Er hat eine lokale Zeitung in der Hand und liest vor: "Aus dem Bezirksgericht: Ich hätte ihr sogar mein letztes Hemd gegeben, aber sie hat mein Konto ins Minus gestürzt, noch bevor ich ihr statt dem Online-Einkauf mein letztes Hemd anbieten konnte."
Alle lachen. Willy liest weiter: "Sie ist klug und bescheiden, hübsch und charmant, und ich wollte ein Baby mit ihr haben. Aber sie ist kaufsüchtig. Ich war noch nie mit meinem Konto im Minus. Zuerst habe ich mir nichts gedacht, als die Pakete eintrudelten. Ich will mein Geld zurück."
Man lachte, aber es gab auch mitleidige Gesichter.
"Frau W. wird künftig einen bestimmten Geldbetrag monatlich an ihren Ex-Freund zurück zahlen. Sie war geständig."
Plötzlich sehen alle Sebastian an.
"Aber Sebastian, du warst das!" ruft Fabian.
Sebastian wird rot, steht auf und geht auf sein Zimmer. Die anderen schweigen, aber bald setzt wieder Unterhaltung ein.
Beim allgemeinen Aufbruch sagt Sven zu Wetti: "Kannst du dich an den Mann erinnern, der fast unter die Gleise geraten ist? Es war Sebastian."
"Wirklich?" Wetti schaut interessiert auf.
"Ja, ich kann mich genau an sein rundes Gesicht und an seine dicklich wirkende Gestalt erinnern."
Wetti schüttelt sich, sagt aber nichts.
Am nächsten Tag geht man in die Schachthöhle. Das ist eine Höhle, die geradewegs in die Erde stößt. Man brauche ein Seil und Kletterausrüstung, um hinunterzukommen. Raol hat ihnen erklärt, dass man in zwei Schichten hinunter müsse; zuerst komme man auf ein Plateau, und dann gehe es nochmals abwärts. Sven fürchtet sich ein bisschen, deshalb drängt er sich gleich hinter Raol; die anderen sind schließlich erfahrene Höhlis, und Wetti hat sich schon weiter hinten eingereiht. So kommt es, dass Sven jetzt einmal allein auf der Plattform steht, denn Raol klettert halb zurück, um dem nächsten zu helfen. Sven drückt sich an das  Kliff, an dem er eben lehnt, und verwächst beinahe mit dem Stein. Niemals  stand er derart knapp an einem Gefels, nie noch berührte er so innig den Stoff einer anderen, bis jetzt so fremden und entfernten Welt. Aber nun spürt er ein Rieseln, als würde die Fluhe lebendig. Es gibt einen Riesenkrach, Sven schaut in die Höhe und sieht Fabian in der Luft hängen. Er hat den Tritt verloren und hängt nur mehr im Sicherungsseil. Raol steigt zu ihm hinauf und hilft ihm aus dem Loch. Für Fabian ist der Ausflug vorbei. Für ein weiteres Abwärtssteigen ist er viel zu nervös.
Einer nach dem anderen kommt nun herunter auf die Plattform. Und weiter nach unten geht es, nachdem Raol noch die eine oder andere Kletterausrüstung kontrolliert hat. Es ist an die 30 bis 40 Meter tief. Jeder Tritt muss sitzen. Auch wenn die Kletterausrüstung das Schlimmste verhindert, würde nun eine Rettung schwieriger sein. Der Erste ist schon unten und ruft herauf, wie es unten aussieht:
"Es gibt mehrere Gänge!"
Der Zweite betritt festen Boden, der Dritte setzt an, erleichtert, den Fuß hinunter zu heben. Da gibt es einen lauten Schrei; Sebastian stürzt ab, aber zum Entsetzen aller fällt er nicht in die Kletterausrüstung, sondern stürzt weiter, stößt an die Vorsprünge der Felswände und schlägt auf den Höhlenboden in über 30 Meter Tiefe auf. Stummes Entsetzen macht sich breit.
"Ja?", ruft Raol hinunter, der gerade bei Peter ist, für den Fall, dass der Hilfe braucht, irgendwo in der Mitte.
"Sebastian ist tot", schreit Andrej hinauf. Andrej ist der zweite Höhlenführer, der erste, der festen Boden betreten hat und von unten den Leuten hilft.
"Bleibt, wo ihr seid," ordnet Raol so laut, dass ihn alle, oben und unten hören können, an. "Ich klettere hinauf, bis ich Handy-Empfang habe. Ich muss die Höhlenrettung und die Polizei verständigen. Wir schaffen das nicht."
Sven drückt sich noch immer an die Wand auf der Platform.
Nachdem die Höhlenrettung und die Polizei ihr Kommen zugesagt haben, klettern sie nacheinander hinauf. Bedrückt sitzen sie am Schachtloch herum. Andrej bleibt bei dem toten Sebastian, und Raol klettert wieder hinunter, nachdem er alle in Sicherheit weiß.
Die Höhlenrettung und die Polizei kommen. Sie bleiben endlos lange im Schacht, aber allmählich wird die Leiche Sebastians geborgen.
Raol richtet sich auf; er ist unheimlich blass.
"Es war Mord, " sagt er. "Das Kletterseil war angeschnitten, wirklich angeschnitten, nicht abgewetzt."
Alle wissen, was das bedeutete. Sie müssen beisammen bleiben, und es würde endlose Befragungen geben.
Sven schiebt sich zu Wetti: "Kannst du dich an den Unfall am Bahndamm erinnern? Mit Sebastian. Du warst damals sehr aufgeregt".
"Ja", erklärt Wetti. "Ich kenne den Langen, Dürren, der davon gelaufen ist."
"Wer ist er?"
"Ein Umweltschutzkontrolleur."
"Und da bist du so aufgebracht? Ich machte mir schon Sorgen."
"Ach, geh! Aber ich mag ihn nicht. Er heißt Leo Stromann und wurde von der Regierung beauftragt, die Schadstoffemissionen zu kontrollieren. Ein Betrieb verschmutzte die Luft so stark, dass die Produkte der umliegenden Bio-Bauern vergiftet wurden. Ein Baby ist sogar angeblich daran gestorben. Er wurde entlassen, weil er den Schadstoffausstoß nicht gemeldet hatte. Er hat sogar eine Gerichtsverhandlung am Hals, wegen Korruption und vielleicht sogar wegen Mord an dem Baby, was weiß ich."
"Das am Bahndamm sah sicherlich wie ein Mordversuch aus."
"Ja, aber hier ist er nicht. Und warum sollte er einen harmlosen Höhlengeher wie Sebastian ermorden wollen?"
"Vielleicht war es ja seine Ex? Immerhin muss sie ihm das Geld nicht mehr zahlen, wenn er tot ist."
"Ja, aber die ist auch nicht hier."
"Trotzdem müssen wir unsere Beobachtung vom Zug aus der Polizei melden."
"Wenn die uns nicht auslachen. Aber ok."
Der Ermittler nimmt sie sehr ernst; er schreibt alles auf, von dem, was Wetti über Leo Stromann weiß, über den Vorgang am Bahndamm bis zum Aussehen des Mannes. Er ist sehr höflich, vielleicht gesprächsgetraint, kann gut Deutsch, wenn auch mit dem knarrenden Akzent seiner Muttersprache.
Zum Schluss erklärt er: "Sebastian Bram ist der Geschäftsleiter der Firma Gick."
Wetti reißt die Augen auf; es ist die Firma, woher Leo Stromann vielleicht Korruptionsgelder bekam.
Als der Ermittler weg ist, bespricht sie sich mit Sven. Sven sagt: "Ich sehe noch immer nicht, warum er es getan haben sollte."
"Vielleicht, um bei der Gerichtsverhandlung eine Aussage zu verhindern."
"Wer könnte noch ein Motiv haben?"
"Alle Biobauern der Gegend, die nun Jahre lang ihr Gemüse nicht als Bio verkaufen können. Die müssen enorme finanzielle Einbußen haben. Alle Eltern, deren Babys krank wurden."

Es war letztlich Leo Stromann. Er hatte sich im zweiten Gebäude der Pension eingemietet und sich einer Putzfrau gegenüber als Höhli ausgegeben und sie überredet, ihm den Raum für die Kletterausrüstung aufzusperren, weil er den Schlüssel im Auto hätte.

Sebastian Bram war nicht besonders beliebt gewesen. Wenn die Leute auch durch das Ereignis selbst niedergedrückt sind, so macht sie der Tod Sebastian Brams nicht besonders traurig. Sie machen die restliche Urlaubszeit keine Höhlenwanderungen mehr, aber sie gehen durch die farbenfrohen Wälder mit den aus den Waldboden herausragenden formenreichen Felsen, mit den kunstvoll aufgehäuften Steinen und den Wiesen mit verschiedenen Grünschattierungen spazieren.
Es gibt viele liebevoll gepflegte Gärtchen in den Dörfern mit Mispeln und Kaki. Man steigt auf den Aussichtsturm auf dem Alten Berg – der heißt so, was eine einigermaßen anstrengende Wanderung ist. Man isst Nussomletten, Buchweizensuppe mit Pilzen und trinkt autochthone Weine. Die Leute sind freundlich, wenn man sie um den Weg fragt, auch, wenn das Gespräch manchmal mit Händen und Füßen verläuft, was beweist, dass für die Höflichkeit kein besonderes Gesprächstraining notwendig ist.

Man hat ihnen gesagt, dass es Wölfe, Bären, Luchse, Marder und Dachse gäbe. Sie sehen keines von denen; nur eine interessante Erdkröte kriecht ihnen einmal über den Weg; und eine bunte Schlange sehen sie von Weitem. Die Krähen schreien und ziehen ihre Kreise und erinnern sie an den Tod.


Quellen

Original Brigitte Prem